Abstrakte Malerei
Hellus 120x180 Mischtechnik auf Leinwand | Naine 120x130 Mischtechnik auf Leinwand |
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Punane60cm x 80cm | Punane IV60cm x 80cm |
Punane II60cm x 80cm | Punane III60cm x 80cm |
Tugev 120x180 Mischtechnik auf Leinwand | Soitrate 120x180 Mischtechnik auf Leinwand |
Roheline Pulli 120x180 Mischtechnik auf Leinwand | Alla120cm x140cm Mischtechnik auf Leinwand |
Hobedane120cm x130cm | Emane 100x120 Mischtechnik auf Leinwand |
Mees 120x130 Mischtechnik auf Leinwand | Trahvi120cm x 130cm |
Jederzeit120cm x 140cm | Tari 80 x 100 Mischtechnik auf Leinwand |
Rokkje 40cm x 40cm | Mischtechnik auf Leinwand | Earthsong120cm x 130cm | Mischtechnik auf Leinwand |
Mojutab50cm x 50cm | Mischtechnik auf Leinwand |
Interleaving Moments
Wo liegt der Zusammenhang zwischen den künstlerischen Werken von Andrea Klosowski und Qi Yang?
Wenn wir vom Lehrer-Schülerin-Verhältnis absehen und formale Kriterien bemühen, so scheint – zunächst einmal ganz oberflächlich betrachtet – eher ein gegenläufiger Weg eingeschlagen worden zu sein, sind doch die Werke von Andrea Klosowski in erster Linie durch Farb-Form-Beziehungen geprägt, während Qi Yang in seinen Objekten und Malereien figurative und gegenständliche Bildelemente zusammenführt. Auch im Hinblick auf die Materialien gibt es keine direkte Übereinstimmung, beschränkt sich erstere doch auf die Verwendung von Japanpapier, Bindemittel und Acrylfarben, wohingegen letzterer eine Vielzahl von Fundstücken, Gegenstandsrelikten und Körpern in seine Montagen einbringt.
Eine Berührung zeigt sich offenbar auf einer anderen Ebene, und zwar im Hinblick auf die Herangehensweise an das Bild, das sich einem intuitiv gesteuerten Prozess verdankt und eine komplexe Gemengelage von Gefühlen und Gedanken zur Anschauung bringt. Bevor wir das Verhältnis von Lehrer und Schülerin weiter untersuchen, sei jedoch eine ganz grundsätzliche Frage erlaubt. Was ist überhaupt ein Bild? Wie sehen und begreifen wir ein Bild?
Im geläufigen Verständnis ist es der Rahmen der – gewissermaßen wie der Sockel die Skulptur – ein Werk zum künstlerischen erhebt und damit dessen Bildwürdigkeit herausstellt. Doch das ist ja letztlich nur eine äußerliche Betrachtungsweise. Eine Zeichnung oder
eine Malerei kann ja auch ganz lapidar per Tesafilm oder Heftzwecke an die Wand gebracht werden, ohne den Status einer künstlerischen Schöpfung damit unbedingt einzubüßen. Im Gegenteil ist es ja sogar so, dass das Werk ohne Rahmen eine sehr viele größere Freiheit im Sinne von Offenheit und Möglichkeit in sich birgt. So ist also bei der Betrachtung dieser Frage ein anderer Zugang zu finden. Ein Werk lässt sich als Bild erfahren, wenn auf dem Untergrund in irgendeiner Form ein Geschehen, ein Prozess oder auch eine Begegnung befördert ist. Dies kann bereits durch die ganz einfache kürzelhafte Setzung einer Linie vonstattengehen, einer Linie, die dazu auffordert, weitergedacht zu werden, die den weißen Grund und die Begrenzungen des Blattes als Spannungsraum definiert, die raum-zeitliche Dimensionen anschaulich werden lässt. Komplexer wird es, dieses Geschehen zu beschreiben, wenn mehrere Faktoren zusammenfinden, wenn malerische Elemente hinzukommen, Farbe und perspektivische Andeutungen, oder gar Fragmente einer Bilderzählung. So umfasst das Bild als Möglichkeitsspektrum eine Variationsbreite von der unbehelligten Leere des Bildgrundes bis hin zur elaborierten fotografischen Darstellung.
Es ist also nicht in erster Linie der Kontext, in dem ein Werk gezeigt wird, der dieses als Bild qualifiziert, sondern der künstlerische Prozess, in dem dieses entsteht, wie auch die Betrachtung durch den Rezipienten, die diesen schöpferischen Akt in der Anschauung nachvollzieht und damit zur weiteren Entfaltung bringt. Wie ist nun dieser künstlerische Prozess zu erfassen? Liegt diesem eine vorformulierte Vorstellung und Ordnung zugrunde, die dann eine Umsetzung erfährt? Oder geht der Künstler bzw. die Künstlerin von einer bestimmten Empfindung aus, für die ein Erscheinungsbild als sichtbares Äquivalent gefunden wird? Oder ist es nicht die Wirklichkeit selbst, an die im Sinne von Abbildlichkeit eine Annäherung angestrebt wird? Sind diese drei Modelle nicht vielleicht gleichermaßen zu verwerfen, um den künstlerischen Gestaltungsakt zu charakterisieren? Sind diese Auffassungen gar nicht so gegensätzlich und sich wechselseitig ausschließend, wie es zunächst erscheinen mag?
In jedem Fall geht jede künstlerische Handlung von den gleichen Komponenten aus: Die Leere des Blattes verbindet sich mit den zu verarbeitenden Materialien in Anwendung einer bestimmten künstlerischen Methode, die wiederum in der Umsetzung durch die Gefühls- und Gedankenebene sowie weitere nicht vorherzubestimmende Einwirkungen eine Beeinflussung erfährt. Dies mag banal klingen. Ist es mit Sicherheit auch, denn der künstlerische Gestaltungsprozess ist letztlich nichts anderes als eine Form der Kommunikation und der Äußerung eines Individuums, wie ja auch Sprache, Musik oder Tanz. Vor dem Hintergrund dieser Banalität drängt sich nun die Frage auf, wie sich künstlerischer Ausdruck überhaupt im Lehrer-Schülerin-Verhältnis weitergeben lässt.
Es geht ja nicht um die Vermittlung von Wissen, von Inhalten und Botschaften, allenfalls um die Lehre einer bestimmten Technik oder Methode, was die künstlerische Fertigkeit betrifft. Wichtiger und grundlegender ist vielmehr die Bereitschaft der Schülerin, dem Leben und damit der künstlerischen Arbeit in einer Haltung von Offenheit und Freiheit gegenüberzutreten, sich solchermaßen einem Geschehen, einer Begegnung oder einem Dialog gleich welcher Ausprägung nicht zu verschließen.
Hierin ist das künstlerische Schaffen von Andrea Klosowski begründet. Zum einen geht sie aus von hauchdünnem Japanpapier in verschiedenen Farben, das von Bindemittel durchtränkt in Ausrissen der grundierten Bildtafel aufgebracht wird. Wie im synthetischen Kubismus verschränken sich Farb-Form-Flächen unterschiedlicher Ausdehnung in- und gegeneinander, um eine Empfindung von Raum und Tiefe heraufzubeschwören, eine Andeutung von tektonischen oder landschaftlichen Strukturen zu vermitteln oder aber auch eine Begegnung lebendig anmutender Gestalten – wie in einem Schattenriss – anschaulich werden zu lassen. Diese Ahnungen lassen sich niemals konkretisieren, begrifflich erfassen oder zu einer stringenten Bilderzählung fixieren. Teilweise werden die eincollagierten Papierfetzen durch Farbauftrag ergänzt oder überlagert, um damit die Raumstruktur des Bildes zu verdichten und das skizzierte Geschehen weiterzutreiben. Durch Verlaufen und Verfließen der Farben werden auch zeitliche Dimensionen eingebracht. Fundstücke wie Tortenspitzen oder andere Papierarten mit unterschiedlichen ornamentalen Strukturen und materiellen Beschaffenheiten führen narrative Assoziationen herbei, die in ganz persönlichen Empfindungen verwurzelt sind, dem Bild der „Madeleine“ von Marcel Proust vergleichbar, deren Geschmack beim Protagonisten in einem Zeitensprung eine ganze Kaskade von Erinnerungen auszulösen vermochte. So werden auch die Ebenen haptischer oder olfaktorischer Sinnlichkeit durch die Bildgestaltung angesprochen und aktiviert. Farbe und Licht konkretisieren Vorstellungen von Weite oder Nähe, von Kälte und Wärme, um uns ganz allmählich in Dimensionen zu geleiten, die in komplexer Weise ganz unterschiedliche Wahrnehmungs- und Empfindungszyklen eröffnen. Folglich stellen sich die Bilder von Andrea Klosowski so dar, als verdichte sich in ihnen punktuell eine sie übergreifende, ewig pulsierende und veränderliche Vitalität. Wie Zungen drängen Farbflächen und -streifen von den Rändern her ins Zentrum der Bildkomposition vor, um sich hier zu überlappen und zu verknoten, gleichzeitig aber auch aus dieser Zentrierung herauszugleiten und über das Bildgeviert hinaus zu entweichen. Dieser Prozess findet nicht nur in der Ebene des Bildgrundes statt, sondern gleichsam körperhaft in einem mehrdimensionalen Raum-Zeit-System.
Das Schaffen von Qi Yang findet gleichermaßen in einer Haltung von Leere und Offenheit seinen Ursprung. Seine Bildwerke und Objekte lassen sich am ehesten einem Haiku vergleichbar lesen. Haiku ist eine traditionelle japanische Gedichtform, die sich meist aus nur drei Wortgruppen von nicht eindeutigen Lauteinheiten zusammensetzt. Dementsprechend ist dem Gedicht eine dem westlichen Betrachter fremd erscheinende Ambivalenz gegeben. Roland Barthes unterscheidet die unterschiedlichen Möglichkeiten des Haikulesens. Der Haiku lässt „Wort und Ding gewissermaßen in eins fallen“, hebt also die Differenz von Bezeichnetem und Bezeichnendem auf. Roland Barthes vergleicht den Haiku mit dem Satori des Zen-Buddhismus und sieht eine wesentliche Analogie darin, eine Wahrheit lediglich aufblitzen zu lassen: „Der Westen tränkt alle Dinge mit Sinn … wir unterwerfen die Äußerungen systematisch […] der einen oder anderen dieser beiden Signifikationen (der aktiven Herstellung von Zeichen): Symbol und Schluss, Metapher und Syllogismus. Der Haiku, dessen Sätze einfach und flüssig sind […], wird einem dieser beiden Reiche des Sinns zugeordnet.“ Interpretationsversuche westlicher Art, „ob Dechiffrierung, Formalisierung oder Tautologie …, die bei uns dazu bestimmt sind, den Sinn zu durchdringen, also in ihn einzubrechen“, könnten den „Haiku mithin nur verfehlen, denn die Lesearbeit, die mit ihm verbunden ist, liegt darin, die Sprache in der Schwebe zu halten, und nicht darin, sie zu provozieren.“
Es gehe darum, den Sinn „zu erschüttern und ausfallen zu lassen wie den Zahn des Absurditätenbeißers.“ Auch Qi Yang konfrontiert uns in seiner künstlerischen Arbeit mit Mehrdeutigkeiten, die uns in ihrer Absurdität die Zähne ausbeißen lassen. Auch die Titel führen hier nicht weiter, wird durch einen solchen etwa eine Erscheinung benannt, die dann in der Tuschzeichnung in Gestalt einer alles auslöschenden dunklen Wolke geradezu eine Negation bzw. Umkehrungerfährt. Qi Yang veranlasst uns, über den Titel Identifikationen vorzunehmen, die durch Motive der Vermaskung, Verschleierung oder Verhüllung im Werk in die Irre geleitet werden. Seine Malerei ist oftmals durch nicht miteinander zu versöhnende Ebenen bestimmt.
So lassen sich malerischer Bildgrund und zeichnerisch eingebrachtes Motiv nicht störungsfrei miteinander verbinden, um doch auf einer eben nicht mehr narrativ zu entschlüsselnden Sinnschicht einen symbolischen Zusammenhang zu erschließen. Das Bild „Das Gebet“ zeigt beispielsweise in Frontalansicht eine Gestalt vor einem Bildgrund, der horizontal in zwei Bereiche gestaffelt ist. Das Verhältnis von Figur und Grund ist dabei nicht eindeutig geklärt. Es könnte sich zwar um eine topografische Andeutung handeln, doch die Gestalt ist hiervon in irgendeiner Weise abgehoben. Sie scheint nicht tatsächlich in einer Landschaft positioniert zu sein, sondern ihr in irgendeiner Form zu entrücken. Die aneinandergrenzenden Farbschichten von Rosa-Beige und Blau bezeichnen offenbar eher eine Übergangssituation – die Erfahrung, sich im Gebet über die Schwelle irdischer Gebundenheit in eine spirituelle Losgelöstheit zu bewegen. Traumerfahrungen und Gedankenbilder werden immer wieder mit scheinbar alltäglichen Szenen verwoben, um eine solche Wandlung anschaulich werden zu lassen und gleichzeitig die innige Verbundenheit von Körper und Geist darzustellen.
So sind die Bilder und Objekte Qi Yangs Ausdruck eines sie übergreifenden, existenziellen Lebenszusammenhangs, der uns alltäglich umfasst und einbezieht. Auf dieser Ebene zeigt sich, dass Schülerin und Lehrer tatsächlich eine gemeinsame Haltung zu ihrer künstlerischen Arbeit im Besonderen, zu ihrem Leben ganz im Allgemeinen bezogen haben. Ausstellung und Katalog lassen uns als Betrachter an dieser dialogischen Begegnung als kreativem Prozess Anteil nehmen.
Dr. Christoph Kivelitz